It’s the Mountains, stupid

Wir Schweizer sind ein leicht kauziges, eher verschlossenes Bergvolk, dem es gelang, eine felsige Einöde mit der weltweit höchsten Dichte an Viertausendern in einen führenden Wirtschaftsstandort zu verwandeln. Ein unwahrscheinliches Projekt. Wie haben wir das bloss geschafft? Der Versuch einer Klärung.

Eine erste Antwort geben Tagebücher von Engländern, die Mitte des 19. Jahrhunderts die Schweiz als Reiseziel entdeckten. Sie liebten die Schweiz – bis auf die lästigen Eingeborenen: Wie die Menschen an den Vorposten des Empires von Bombay bis Alexandria galten auch wir als unzivilisiert und rückständig. Mit einem Unterschied: Strassen, Kutschen und Bergbahnen, die Infrastruktur insgesamt, waren schon damals auffallend gut ausgebaut. Erstaunen rief auch die Pünktlichkeit der ungewaschenen Bergler hervor. Wir mochten vielleicht nicht den Charme der schick gekleideten Mailänder weiter südlich haben, waren aber deutlich besser organisiert.

Die Engländer hatten ziemlich gut erkannt, dass wir uns am liebsten um Dinge kümmern, die wirklich wichtig sind, Strassen zum Beispiel oder pünktliche Zugverbindungen und guten Käse. Dass man von uns bäuerlichen Eingeborenen, die wir in einer republikanischen Schweiz ohne hochwohlgeborene Nichtstuer aufgewachsen waren, keinen Knicks erwarten durfte, und dass wir Gleichheit als etwas Selbstverständliches ansahen, mag manch Reisendem unzivilisiert und wenig schicklich vorgekommen sein. Aber wir Schweizer sorgten dafür, dass ihr Kulturschock nicht lange anhielt, denn pragmatisch wie wir sind, lernten wir sehr schnell, das vermeintlich Ungehobelte durch eine freundliche Servicekultur wettzumachen… und den Rest als authentische Folklore durchgehen zu lassen.

Wir wussten immer schon, dass man hart arbeiten muss, um sich ein sicheres Auskommen zu verschaffen, weil die Bergwelt, die für andere Romantik bedeutete, für uns harte und oft auch bedrohliche Wirklichkeit war. Besonders die kalten Winter waren schier endlos, dunkle Monate mit viel Schnee und wenig Abwechslung. Nur Zeit, die gab es im Überfluss. Wir verbrachten sie weniger mit Reden als mit dem Herstellen guter Werkzeuge, durchdacht und langlebig. Dabei liessen wir – schon aus Sparsamkeit und Mangelwirtschaft – unnötigen Schnickschnack einfach weg und schufen einfache Formen von hoher Funktionalität. Ausserdem merkten wir natürlich schnell, dass sich Hässliches schlechter verkaufte.

Klima und Geographie hatten so einen kaum zu unterschätzenden Einfluss darauf, wie wir Schweizer die Welt sehen. Wenn wir uns eingangs fragten, warum ein rohstoffarmer Kleinstaat heute Spitzenprodukte von Käse über Präzisionswerkzeuge bis zur Nanotechnologie exportiert, dann spielen die Berge, der Schnee, der Nebel und die Dunkelheit dabei eine wichtige Rolle.

All das, was die Reisenden als Postkarte und wir als harte Wirklichkeit erlebten.

Wie tief die Berge als Denkmuster in uns drinstecken, merken wir Schweizer besonders dann, wenn wir sie verlassen, die Schweiz. Bei jeder Autoreise nach Norden oder Süden fällt irgendwann der Satz: unglaublich wie flach das hier ist! Dabei ist es gleich, ob wir uns in Holland oder in der Po-Ebene befinden. Manchmal halten wir einfach an, um das exotisch Flache auf uns wirken zu lassen. Und weil Strassen, die nicht wie zuhause aus Kurven, sondern aus unendlichen Geraden bestehen, die einen zwar schneller ans Ziel bringen, aber den Weg monoton werden lassen, gibt es Schweizer, die sich dann ungebremst ihrer Langsamkeit hingeben und einen Umweg suchen: Einen kurvigen, für ein bisschen Heimat in der Fremde. Achten Sie mal auf die erhöhte Frequenz von Schweizer Nummernschildern, wenn sie in berglosen Landschaften auf kurvigen Nebenstrassen fahren.

Photo credits: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Jean Gabarell

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